Überblick

1942 geboren in Bethel bei Bielefeld. Sozialstatus der Eltern: arm, aber verhältnismäßig sauber.
(In der Vergangenheit sah ich mich gelegentlich dem Vorwurf ausgesetzt, meine proletarische Abkunft dünkelhaft überzubetonen. Ich räume inzwischen ein, daß es auch Vorteile haben kann, privilegierteren Schichten zu entstammen als ich. Dennoch möchte ich auf ein Wort meines Kollegen Rilke verweisen: "Armut ist ein großer Glanz von innen!” (Ein Glanz, der seine größte Intensität in den Augen afrikanischer Kinder im letzten Stadium des Verhungerns erreicht).

1945 Erste Auftritte bei Familienfesten mit dem Lied: "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins”. Ich singe wie Miles Davis Trompete spielt, immer mit dem Rücken zum Publikum.

1948 Einschulung. Während der acht Jahre Volksschule keine besonderen musikalischen Interessen. Stattdessen bemale ich Butterbrotpapier und die unbedruckten Innenseiten von Buchdeckeln mit immer denselben Motiven: Pferde, Cowboys, Indianer.

Foto links: ich mit meinen Schwestern Ursula und Gisela. Foto rechts: Mandolinenorchester. Vorn in der Mitte in gleichen Kleidern – meine Schwestern Ursula und Gisela. Links im Bild (etwas verschwommen) mein Vater.

1956 Lehrzeit als Dekorateur in einem Schuhgeschäft in Bielefeld. Während dieser Zeit entdecke ich meine musikalischen Neigungen wieder. Ich lerne Mandoline und Gitarre. (Mein Vater war Mitbegründer des regionalen Mandolinenorchesters.)

1957 Tod meines Vaters in seinem 54. Lebensjahr.

1959 Immer wieder gefragt, ob die auffällige Krümmung meiner Nase ein Geburtsfehler sei, antworte ich jetzt: "Nein, ich habe sie bei einer Prügelei mit Jungens aus dem Nachbardorf erworben.” Der Anlaß – bei einem Zeltfest hatte ich mit einem Mädchen aus ihrem Dorf getanzt. Um einem alten Brauch zu genügen, sollte ich als Ortsfremder einen sogenannten "Jagdschein” vorzeigen, d.h. einen ausgeben, oder " 'n paar anne Fresse kriegen”.
(Dieser Brauch hat sich im Zuge der Verstädterung nur in der Variante des Anzündens von Ausländerwohnheimen lebendig erhalten können.)

1962 Nach drei Jahren Lehrzeit und weiteren drei Jahren Tätigkeit als Dekorateur erfährt meine Biographie ihre entscheidende Krümmung auf ähnlich dramatische Weise wie vordem meine Nase. Im Zeitraum eines einzigen Jahres verlobe ich mich, werde wegen Musizierens während der Arbeitszeit entlassen (ich blase inzwischen Klarinette und Saxophon), bewerbe mich auf Betreiben meiner Verlobten für ein Graphikstudium in Bielefeld, bringe mich als Barmusiker und als Klarinettist in einer Jazzband durch, bewerbe mich bei der heutigen Hochschule der Künste in Berlin und werde wieder angenommen, löse meine Verlobung, und – um zum wesentlichen zu kommen – ich höre zum erstenmal Georges Brassens und beginne sofort, selber Lieder zu schreiben
("Das Loch unterm Dach” ist mein allererstes Lied).

1963–65 In Berlin gibt es schon eine Szene für Straßenmusiker und Maler. Ich studiere immer noch weiter, in der Absicht Graphiker zu werden, und schreibe nebenher das eine oder andere Lied. Die internationale "Folklorewelle” der 60er kündigt sich schon an. Ich höre zum erstenmal von der Burg Waldeck, auf der 1965 das erste Folk- und Songfestival stattfindet.

1966 Mein erster Waldeckauftritt, Pfingsten ’66, wird für mich eine Art Durchbruch, außerdem begegnen mir hier Menschen, mit denen mich heute noch enge Freundschaften verbinden.

1967 Hans A. Nikel, Herausgeber der "Pardon”, engagiert mich, weil ihm meine Lieder gefallen, ein dreiviertel Jahr lang als Layouter. Er zahlt mir die für mich damals enorme Summe von 800 DM im Monat. Dort begegnen mir die von mir bewunderten Zeichner und Satiriker der "Pardon”, Traxler, Halbritter, Gernhardt, Weigle und Waechter und vor allem der damalige Justitiar des Verlages, Robert Kuhn, mit einer Freundlichkeit, die mir sehr wohltut.

1968 Zurück in das Berlin der Studentenbewegung, der Demonstrationen gegen die Springerpressee, den Schah von Persien, den Krieg der Amerikaner in Vietnam. In meiner ostwestfälischen Schwerfälligkeit begreife ich nur wenig von alldem. Die Berliner Fixigkeit macht mich ohnehin nach und nach fertig. Immer öfter klemme ich mir die Hacken in der U-Bahntür ein, weil ich nicht schnell genug drinnen oder draußen bin. Ich habe ständig das Gefühl, wesentliches zu verpassen. Z. Bsp. einmal heißt es, Otto Mühl (damals "Schweine-Mühl” genannt) badet dann und dann auf dem Kurfürstendamm in frischem Schweineblut mit anschließendem gemütlichen Pissetrinken und Massenficken auf der Kantstraße. Ich möchte
so gern dabei sein, aber ich bin wieder mal zu spät.

Inzwischen gibt es in Berlin bereits eine lebendige Folk- und Liedermacherszene. Dazu zählen: Reinhard Mey, Schobert und Black, Insterburg und Co., Susanne Tremper, Klaus Hoffmann, Katja Ebstein, Ulrich Roski, Inga und Wolf u.a. Ich stehe damals jeden Abend auf bis zu fünf verschiedenen Bühnen, kassiere die Spitzengage von DM 25,– pro Auftritt, die außer mir nur noch Reinhard Mey beansprucht, das Nachtleben gefällt mir, ich breche mein Studium ab, gehe keine Nacht vor fünf Uhr morgens ins Bett und schlafe bis in den Nachmittag.
Die Frage nach der Tragfähigkeit einer künstlerischen Existenz stelle ich mir damals keinen Augenblick lang. "Zukunft” ist bis heute für mich eine Dimension von mehr historischem als privatem Interesse geblieben.

1969 erscheint meine erste Schallplatte. "Hannes Wader singt”.

1970 folgt die zweite LP "Ich hatte mir noch soviel vorgenommen” mit Werner Lämmerhirt an der Gitarre.

1971/72 entschließe ich mich berlin-müde, die Stadt zu verlassen. Ich miete in Hamburg eine Wohnung, überlasse sie vorübergehend einer jungen Frau namens Hella Utesch, freie Mitarbeiterin des NDR. Ich selber habe eben die Aufnahme für die LP "Sieben Lieder” beendet, weiß schon, daß dieses Album ein großer Erfolg werden und daß sich mein Leben wieder einmal verändern wird. Ein letztes Mal trampe ich mehrere Monate durch Europa.

Kaum zurück, werde ich nach einem Konzert in Essen quasi von der Bühne herunter verhaftet. Meine Hamburger Wohnung ist als das damalige Hauptquartier der sog. Baader-Meinhof-Bande aufgeflogen. "Hella Utesch” ist der Tarnname Gudrun Ensslins gewesen. Ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung wird gegen mich angestrengt, ich werde von Fernsehen und Funk boykottiert und erhalte in Österreich Einreiseverbot.

Nicht nur ich selbst, auch meine Freunde werden abgehört, vernommen, observiert und unter Druck gesetzt. Ohne die Solidarität meiner Berliner Kollegen wäre ich als Liedermacher erledigt. Erst nach Jahren wird das Verfahren gegen mich eingestellt.

1973 Den Plan, nach Hamburg zu ziehen, betrachte ich als gescheitert.
Ich beziehe stattdessen eine alte Windmühle in Nordfriesland, in der ich
25 Jahre lang lebe. Ich bin immer wieder gefragt worden, wie sich die Inhalte meiner Lieder mit dem Besitz einer Windmühle vereinbaren lassen.
Die Antwort lautet: Gar nicht.

1974 heirate ich – wir sind seit 1967 zusammen – die Schauspielerin Susanne Tremper aus Berlin. Susanne geht in die Schweiz und nimmt ein mehrjähriges Engagement im Stadttheater Basel an, 1000 Kilometer von
mir entfernt. Wir sehen uns selten. Nach weiteren 6 Jahren werden wir in gegenseitigem Einverständnis geschieden.

1973-77 Es erscheinen in diesen Jahren die LPs "Der Rattenfänger”, "Plattdeutsche Lieder”, "Hannes Wader Volkssänger”, "Shanties”, "Kleines Testament”, "Arbeiterlieder” sowie die zwei "Folk-Friends”-Alben, die in meiner Windmühle aufgenommen werden.

1977 trete ich in die Deutsche Kommunistische Partei ein und wechsle von meiner Platten-Company "Phonogram” zu "pläne”. Auf meinen Parteieintritt reagieren die Medien erneut mit Boykott, diesmal so wirksam und langanhaltend, daß die jetzige Redakteursgeneration mit meinem Namen kaum noch was verbindet. Ich betrachte das als meine Chance, von einer der nächsten Generationen wiederentdeckt zu werden.

In den folgenden Jahren bin ich stark politisch aktiv, ich singe in bestreikten Betrieben, auf politischen Veranstaltungen, bin engagiert in der Friedensbewegung usw.

Bei "pläne” entstehen die LPs "Wieder unterwegs”, "Es ist an der Zeit”, "Nicht nur ich allein”, "Daß nichts bleibt, wie es war”, "Glut am Horizont”, "Liebeslieder”, "Bis jetzt”, "Nach Hamburg”.

Zu Beginn der 80er spiele ich im Ensemble mit Lydie Auvray (Akkordeon), Hans Hartmann (Bass) und mit Reinhard Bärenz (Gitarre). Von Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre ist Detlef Petersen mein Produzent, der auch viele Melodien für mich schreibt.

Mit dem Erscheinen Gorbatschows auf der weltpolitischen Bühne langsames Abbröckeln meiner bis dahin felsenfesten politischen Überzeugung. Anstatt mich weiterhin an politischen Diskussionen und innerparteilichen Auseinandersetzungen zu beteiligen, arbeite ich verstärkt an dem Hamburg-Liederzyklus.

1986 Ich heirate erneut.

1987 Geburt unseres Sohnes.

1989 erscheint das Album "Nach Hamburg”

Im Zuge der politischen Turbulenzen (Auflösung der DDR und der Sowjetunion usw.) werde ich von "pläne”, damals ein der DKP nahestehender Betrieb, gefeuert.

1990 erscheint die noch für "pläne” produzierte CD "Hannes Wader singt Volkslieder” bei "Phonogram”, meiner alten Plattencompany. Ein Jahr später folgt die CD
"Nie mehr zurück”. Wechsel zur Konzertagentur „Scala“/ Robert Weißenberger in Frankfurt.

1991 Austritt aus der DKP. Die Implosion der kommunistischen Welt, über 12 Jahre meine weltanschauliche Heimat, trifft mich schwer. Meine bis dahin ausgeprägte Leidenschaft, mich politisch zu engagieren, wird gedämpft. Meine sozialistischen Grundüberzeugungen bleiben im Kern unberührt, zumal sich meiner Ansicht nach die Verhältnisse durch die "Wende” nicht verbessert haben.

1993 werde ich bei "Phonogram” gefeuert.

1995 Geburt unserer Tochter. Bei „pläne“ erscheint nach mehrjähriger Pause (keine Lust) die CD "Zehn Lieder”.

1996 nehme ich die CD "Liebe, Schnaps, Tod. Hannes Wader singt Bellman” auf, gesanglich unterstützt von Reinhard Mey und Klaus Hoffmann.

1997 Veröffentlichung einer Schubert-CD mit dem Titel "An dich hab ich gedacht”. Begleitet von Ralf Illenberger (Gitarre) und Eberhard Weber (Bass).

1998 Verkauf der Struckumer Mühle. Grund: 25 Jahre an einem Ort reichen. Wir, meine Familie und ich, bleiben in Schleswig-Holstein und beziehen einen Resthof im Kreis Steinburg. Im Herbst desselben Jahres kommt die Live-CD "Auftritt: Hannes Wader” heraus, mit Klaus Weiland, zweite Gitarre, und Benjamin Huellenkremer am Bass.

2000 & 2001 Sommertourneen sowie Live-CD "Was für eine Nacht..!" gemeinsam mit Konstantin Wecker.

Veröffentlichung meines Albums "Wünsche".

2002 Anlässlich meines 60. Geburtstages Konzert mit Reinhard Mey und Konstantin Wecker in meiner Heimatstadt Bielefeld.

2003 Veröffentlichung des KonzertMitschnitts  als Doppel-CD unter dem Titel:
Mey Wader Wecker / Das Konzert
.

2004 neues Liederalbum "…und es wechseln die Zeiten" sowie eine Hörbuch-CD: "Hannes Wader liest Kurt Kusenberg"

2006 & 2007 erscheint mein Album „Mal angenommen“ und die CD „Neue Bekannte“, auf der ich bereits von mir in den vergangenen Jahrzehnten veröffentlichte Lieder neu interpretiere. Dies ist meine letzte CD bei „pläne“, die Firma geht den Bach runter.

2008 Umzug mit der Familie nach Kassel.

2010 & 2011 Tourneen mit Konstantin Wecker und den Musikern Jo Barnikel (Klavier und Keyboard), Hakim Ludin (Percussion) und Nils Tuxen (Gitarre). Hiervon erscheint die Live-CD „Kein Ende in Sicht“.

Im Jahr 2011 veröffentlicht der Filmemacher und Regisseur Rudi Gaul den Film „WaderWeckerVaterland“. Für diesen Film hat er Konstantin und mich über Monate mit seinem Team auf unserer gemeinsamen Tournee aber auch einzeln privat begleitet.

2012 Meine alte Plattencompany – inzwischen Label der Universal Music – nimmt mich wieder unter Vertrag und bringt mein Album „Nah dran“ heraus. Ich erhalte beim Weltmusikfestival in Rudolstadt die „EhrenRUTH“ für mein Lebenswerk.

2013 Ebenfalls für mein Lebenswerk die Verleihung des „ECHO“. Mein alter Freund Reinhard Mey hält die Laudatio und ich singe „Heute hier, morgen dort“ zusammen mit Campino – die Toten Hosen haben den Song gecovert

Tournee mit Allan Taylor; aus dem Projekt entsteht die CD „Old Friends in Concert“.

Universal veröffentlicht die Compilation „Trotz alledem“ mit einer von mir vorgenommenen Liedauswahl aus meinem Gesamtwerk.

Und es werden von in den Jahren 2013 und 2014 siebzehn bis dato vergriffene „pläne“-Alben von mir bei Universal wieder herausgebracht.

2014 & 2015 Es erscheinen meine CDs „Sing“ und „Hannes Wader Live“.

Umzug innerhalb Kassels, nun wohnen wir direkt am Habichtswald, die Wildschweine kommen bis vors Gartentor.

2017 Abschiedstournee mit Abschlusskonzert im Tempodrom/Berlin.
Von diesem Konzert erscheint 2018 die Live-CD „Macht’s gut“.

2019 Im Oktober erscheint
meine Autobiografie
Trotz alledem. Mein Leben.
im Penguin Verlag.

 

 

 

 

 

 

(Text: Hannes Wader)